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Gibt es einen Überschuss zur freien Verfügung der Jäger

Generationen von Studenten haben die These wie ein Prinzip verinnerlicht und viele Biologen haben es als ein Faktum akzeptiert, dass ein Teil der im Sommer vorhandenen und hernach zur Jagd freigegebenen Tiere den Spätherbst und Winter ohnehin nicht überleben würde und dass die Jagd im Herbst lediglich die überschüssigen Tiere eliminiert, die andernfalls an natürlichen Ursachen eingehen würden.

Die rationalisierte Jagd

Die Jagd hat es immer gegeben. Aber in der Neuzeit mit dem rapiden Anstieg der Bevölkerung (von 500 Millionen um 1600 auf über 6 Milliarden Menschen heute) und der Einführung immer ausgetüftelterer Jagdwaffen sind die Schäden durch die Jagd enorm geworden. Zwischen 1600 und 1965 wurden weltweit 202 Arten und Unterarten von Säugetieren und Vögeln ausgerottet. Davon gehen 56 verschwundene Arten allein auf das Konto der Jagd, weitere 13 Arten sind aufgrund der Jagd und anderer mit dieser zusammenhängender anthropogener Ursachen ausgestorben. Von 371 anderen Arten und Unterarten von Säugetieren und Vögeln, die 1965 von der Ausrottung bedroht waren, ist in 108 Fällen ausschließlich die Jagd dafür verantwortlich und bei weiteren 81 vom Aussterben bedrohten Arten sind es jagdbedingte und andere vom Menschen bedinge Ursachen.

In Nordamerika wurden in den 3000 Jahren vor 1600 pro Jahrhundert etwa 3 Säugetier- bzw. Vogelarten ausgerottet. Nach 1600 stieg die Rate auf 19 Arten pro Jahrhundert an. Ebenfalls für die Zeit nach 1600 gilt, dass die Jagd und die Zerstörung der natürlichen Lebensräume durch den Menschen für 57 Prozent der ausgerotteten Vogel- und für 62 Prozent der ausgerotteten Säugetierarten verantwortlich sind.

Es ist daher nur folgerichtig, wenn sich in den vergangenen Jahrzehnten viele Forscher mit der Frage beschäftigt haben, wie sich die Jagd auf die Tierbestände auswirkt. Ziel solcher Untersuchungen ist es, Strategien zu finden, die die Interessen der Jagd mit den Forderungen des Natur- und Tierschutzes in Einklang bringen. Diese Theorien sehen eine Begrenzung der zur Jagd freigegebenen Exemplare nach Zahl und oft auch nach Geschlecht oder Alter vor. Die Zahlen ergeben sich aus einer Kalkulation, der zufolge nur zeitweilig und in jedem Fall nur in begrenztem Maße eine Verringerung der Bestände eintritt, sodass keinesfalls die Gefahr der Ausrottung einer Art besteht.

Primatenart durch Bejagung ausgestorben

Als erste Primatenart des 20. Jahrhunderts ist der Miss Waldrons, eine Unterart des Roten Stummelaffen, ausgestorben. Wie die Zeitschrift Conservation Biology in der Oktoberausgabe berichtet, wurde während einer sechsjährigen Untersuchung in Ghana und Elfenbeinküste kein einziges Exemplar mehr gesichtet. Der letzte Miss Waldrons war 1980 gesichtet worden, seit 1988 stand die Affenart auf der Liste der bedrohten Tiere. Wissenschaftler machen die Jagd sowie das Abholzen der Regenwälder für ihr Verschwinden verantwortlich. Nach Schätzungen sind etwa zehn Prozent aller 608 Affenarten in ihrem Bestand gefährdet.

Viele dieser Studien wurden in den USA durchgeführt, was auch plausibel ist, wenn man bedenkt, dass dieses Land aufgrund seiner Größe und der bis vor 400 Jahren vergleichsweise geringen Beeinträchtigung der Natur durch den Menschen immer noch eine sehr reiche und vielgestaltige Fauna besitzt. Aber ein Heer von 17 Millionen Jägern, das nicht kontrolliert wird, kann verheerend für eben diese Fauna sein. In den folgenden Kapiteln wollen wir die wichtigsten Theorien vorstellen:

Die Theorie vom jährlichen Überschuss

Bestimmten Theorien zufolge soll es in einer natürlichen Population einen jährlichen Überschuss an Exemplaren geben im Verhältnis zur Zahl der Tiere, die sich tatsächlich fortpflanzen. Es ist natürlich möglich, dass ein Teil der Tiere, die sich sonst fortpflanzen würden, der Jagd zum Opfer fällt. Aber in diesem Fall würden an ihre Stelle Tiere treten, die sich eigentlich nicht fortgepflanzt hätten. Auf jeden Fall würde sich die Zahl der Exemplare, die sich reproduzieren, nicht verändern, und folglich hätte die Jagd keinen Einfluss auf die nachfolgende Generation. Dies gelte allerdings immer unter der Voraussetzung, dass die Zahl der zum Abschuss freigegebenen Exemplare limitiert und die Jagdzeiten auf einen bestimmten Zeitraum beschränkt bleiben.

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Von den Theorien, die von einem Bestandsüberschuss ausgehen, hat diejenige besondere Bedeutung, die einen jährlichen Überschuss unterstellt. Nach dieser Theorie kann nur eine begrenzte Zahl von Exemplaren überleben – und zwar weil das Nahrungsangebot begrenzt ist, weil die natürliche Deckung vor Raubtieren durch den Pflanzenbewuchs im Winter fehlt und weil es letzten Endes nicht genug Lebensraum für alle Exemplare gibt, damit jedes ein eigenes Territorium gegenüber den Artgenossen beanspruchen könnte. In der Zeit der Fortpflanzung, im Frühjahr und Sommer, kommen zu viele Tiere zur Welt. Im Herbst wäre demnach eine größere Population vorhanden, als im Winter tatsächlich überleben kann.

Die Differenz zwischen der Population im Herbst und der, die den Winter überleben kann und dann im Frühjahr den Bestand ausmacht, wäre also der Überschuss. Wenn die Abschussquoten richtig berechnet werden, sodass sie nicht größer sind als der jährliche Überschuss, und wenn die Jagd auf den Herbst beschränkt bleibt, d.h. wenn sie mit den ersten Härten des Winters endet, dann werden die Jagdstrecken durch eine geringere Mortalitätsrate im Winter kompensiert. Im nächsten Frühjahr gäbe es dann einen ebenso großen Bestand an fortpflanzungsfähigen Tieren, wie es ihn auch ohne Jagd gegeben hätte. Dieses Konzept wird auch so formuliert: Die Mortalität durch die Jagd muss man von der Mortalität durch natürliche Umstände abziehen und ihr nicht aufaddieren. Der Theorie zufolge ist die Gesamtmortalität konstant, ob die Population bejagt wird oder nicht.

Da die Fortpflanzungsrate von Jahr zu Jahr schwanken kann, weil sich entscheidende Faktoren wie Niederschlag, Temperatur, Nahrungsangebot usw. ändern, wird auch der jährliche Überschuss unterschiedlich sein. Will man also diese Theorie korrekt anwenden, muss man jedes Jahr Ende des Sommers eine genaue Bestandszählung der bejagten Population durchführen, zu einer Zeit also, da der Nachwuchs von den Eltemtieren bereits großgezogen wurde.

Die Theorie vom jährlichen Überschuss basiert auf den mittlerweile klassischen Untersuchungen von Paul L. Errington, der zwischen 1929 und 1944 etliche Populationen der Virginiawachtel beobachtete. In der Folge wurden die darauf aufbauenden Thesen auf einige andere Arten von Land- und Wasservögeln und auch auf Säugetiere angewandt. Dazu gehörten z. B. Fasan (435), Präriehuhn (646), Stockente (111, 330) und Grauhömchen (742). Für die Theorievariante, die von einer begrenzten Raumverfügbarkeit im Territorium ausgeht, wurden entsprechende Untersuchungen beim Schottischen Moorschneehuhn (359, 361, 766, 767), dem Felsgebirgshuhn (795) und Tannenhuhn (80) durchgeführt, die alle zu den Hühnervögeln gehören.

Die Gültigkeit dieser Theorie wird also durch die Tatsache eingeschränkt, dass sie offensichtlich nur für standortfeste Tiere zutrifft, für Tiere also, die nicht ziehen, und auch für Zugvögel, die an ihren Winterstandorten bejagt werden. Sie ist dagegen kaum anwendbar auf Zugvögel, die in ihren Brutgebieten bejagt werden, es sein denn, man würde Pläne aufstellen, die die gesamte Vogelzugstrecke (flyway) abdecken. Das aber wurde bislang nur in den USA und dort auch nur ansatzweise versucht, denn man hat für alle Zugvogelarten spezifische Strecken festgelegt, obwohl sich die Routen der verschiedenen Arten in Wirklichkeit auf weiten Teilen überschneiden.