„Kritik an Sanktionen: Moskau blüht auf trotz Wirtschaftssanktionen“

Das erste EU-Sanktionspaket nach dem Überfall auf die Ukraine im Jahr 2022 sollte Russland angeblich ruinieren, doch mittlerweile ist das Land das am meisten sanktionierte der Welt. Trotz der zahlreichen Maßnahmen haben die Sanktionen die russische Wirtschaft bisher kaum geschwächt. Russland hat verschiedene Wege gefunden, um die Sanktionen des Westens zu umgehen, unter anderem durch den Handel mit Drittländern und Parallelimporte. Die EU hat versucht, gegen diese Umgehungsmöglichkeiten anzugehen, war jedoch nur mäßig erfolgreich. Die Sanktionen haben für Russland zwar die Beschaffung bestimmter Produkte erschwert, aber die Wirtschaft insgesamt nicht entscheidend geschwächt. Auch innerrussische Faktoren wie geringe Auslandsverschuldung und autarke Lebensmittelversorgung tragen dazu bei, dass Russland trotz der Sanktionen seine Kriegswirtschaft fortsetzen kann. Es bleibt abzuwarten, wie lange der Westen seine Unterstützung für die Ukraine aufrechterhalten kann, da die Kosten immer mehr steigen und die Zustimmung in der Bevölkerung abnimmt. Trumps möglicher Wahlsieg könnte sogar dazu führen, dass die USA sich aus der Allianz gegen Russland zurückziehen, was Putin langfristig einen Vorteil verschaffen könnte.

Die Auswirkungen der Sanktionen auf die russische Wirtschaft

Ein harter Schlag – oder doch nicht?

Es waren große Worte, die das erste EU-Sanktionspaket nach dem Überfall auf die Ukraine begleiteten: „Das wird Russland ruinieren“, versprach Außenministerin Annalena Baerbock damals im Februar 2022. Inzwischen ist das 13. Sanktionspaket der EU verabschiedet worden; auch die USA haben nach dem Tod des Regimekritikers Alexej Nawalny erneut Hunderte Sanktionen nachgeschoben. Die Maßnahmen beinhalten Einfuhr- und Ausfuhrverbote für etliche Waren, eingefrorene Vermögen in Milliardenhöhe, Einreiseverbote für Tausende Einzelpersonen, Strafmaßnahmen gegen Banken, Finanzinstitute und Unternehmen.

Längst ist Russland das am meisten sanktionierte Land der Welt – doch die russische Wirtschaft scheint das kaum zu schwächen. Nach einem anfänglichen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2022 legte es im darauffolgenden Jahr wieder zu, nach russischen Angaben um 3,5 Prozent. Für 2024 prognostiziert der Internationale Währungsfonds (IWF) ein erneutes Wachstum von 2,6 Prozent. Dagegen schrumpfte die deutsche Wirtschaft zuletzt um 0,3 Prozent; für das aktuelle Jahr fallen die Prognosen ähnlich aus.

Der Blick vor Ort: Moskau boomt trotz Sanktionen

„Bei uns im Westen hieß es schnell: Mit den Sanktionen werden wir Russland in die Knie zwingen. Darauf warten wir aber immer noch“, sagt Oliver Kempkens. Der Unternehmer lebte knapp vier Jahre in Moskau, arbeitete dort unter anderem für die russische Sberbank. Nach dem Überfall auf die Ukraine verließ er Russland, reist aber noch gelegentlich privat in das Land. WELT erreicht ihn telefonisch bei einem dieser Besuche in Moskau. Dort jedenfalls seien die Auswirkungen der Sanktionen nur begrenzt zu spüren, berichtet Kempkens.

Zwar prägten zunehmend chinesische statt westliche Autos das Stadtbild, und auch einige Konsumgüter seien schwieriger zu bekommen. „Aber die Dinge, die fehlen, werden einfach kreativ auf anderen Wegen beschafft.“ Wohlhabende Russen würden etwa ihre Einkäufe in Dubai machen oder über Istanbul in den Urlaub fliegen. „Hier sagen viele: ‚Schaut euch an, eure ganzen tollen Sanktionen – und Moskau boomt!‘“

Abseits der großen Städte, wo die Menschen ohnehin meist in einfacheren Verhältnissen leben, haben die Maßnahmen ebenfalls wenig sichtbare Folgen. Selbst die anfänglich explodierende Inflation – insbesondere bei den Preisen für Nahrungsmittel – hat sich inzwischen im mittleren einstelligen Bereich eingependelt und wird durch teils stark angestiegene Löhne ausgeglichen.

Die Herausforderung der EU: Sanktionen umgehen

Die EU versucht seit einiger Zeit gegenzusteuern und hat Sanktionen gegen Unternehmen und Einzelpersonen in Drittländern verhängt. Mit mäßigem Erfolg. Zum einen, weil diese Art von Sanktionen – auch wegen Bedenken der Bundesregierung über die diplomatischen Beziehungen zu den betroffenen Ländern – erst spät und in abgeschwächter Form ausgesprochen wurden. Zum anderen, weil die Wege von sanktionierten Waren über Drittländer durch globale Lieferketten und intransparente Gesetzgebungen kaum zu verfolgen sind.

Die Vielzahl der Sanktionen macht es für Russland zwar aufwändiger und teurer, bestimmte Produkte zu beschaffen. Doch, wie einst erhofft, die russische Wirtschaft entscheidend zu schwächen – davon ist man weit entfernt. Neben den Drittländern, die ob eigener ökonomischer Interessen nur allzu gern bei der Umgehung von Sanktionen unterstützen, tragen dazu auch einige innerrussische Faktoren bei.

Das Fazit: Ein Spiel auf Zeit

Wie lange die westlichen Verbündeten der Ukraine ihre finanzielle und militärische Unterstützung im jetzigen Ausmaß aufrechterhalten können (und wollen), ist tatsächlich ungewiss. Die Sanktionen und Hilfsleistungen kosten allein die deutsche Wirtschaft Milliarden, kurbeln die Inflation an und verschärfen die ohnehin großen Lücken im Haushalt. Der Spielraum für neue Sanktionen ist begrenzt, auch, weil die Zustimmung für die Ukraine-Hilfen in der Bevölkerung Deutschlands und anderer EU-Länder tendenziell abnimmt.

Die USA drohen sich bei einem Wahlsieg Donald Trumps gar vollständig aus der Allianz gegen Russland zurückzuziehen. So könnte es Putin langfristig gelingen, das wirtschaftliche Machtspiel mit dem Westen zu gewinnen. Trotz aller Anstrengungen scheint es, dass die Sanktionen nicht die gewünschte Wirkung auf die russische Wirtschaft haben und das Land ein Spiel auf Zeit spielt, um seine Kriegswirtschaft zu erhalten.

„Kritik an Sanktionen: Moskau blüht auf trotz Wirtschaftssanktionen“